Fels in der Brandung

Wenn ich Menschen begleite, telefonisch oder von Angesicht zu Angesicht, achte ich darauf, dass sie ins Spüren kommen. Wenn sie in Gefühlswallungen stecken, die sie beängstigen und aus denen sie gerne heraustreten möchten, führe ich sie zum Beispiel ins Spüren des Körpers.

Den Körper spüren ist an sich ganz einfach, doch ohne Übung und ohne Begleitung sind wir oft nachlässig und nehmen uns nicht die Zeit. Erst mit der Zeit – und das kann eine längere Weile sein, Monate oder Jahre – stellt sich ganz unmerklich die Fähigkeit ein, sich selbst so zu spüren, dass wir uns im Alltag wahrnehmen achtsam selbst begleiten.

In der Psychosynthese gibt es zum Beispiel eine zentrale Übung, die uns hier hilft: drei Ebenen unserer Wahrnehmung in den Fokus nehmen, sie ganz erfühlen, und dann loslassen.
Körperempfindungen – Gefühle – Verstand, diese drei Dimensionen helfen uns zu verstehen, wie wir in der Welt sind.

Durch meinen Körper bin ich sichtbar in der Welt, er ist mein physischer Ausdruck, er gibt mir Schutz, erlaubt mir mich zu bewegen, gibt mir Rückmeldungen, wenn es kalt ist oder warm, wenn ich Nahrung brauche oder Ruhe. Er verdaut meine Nahrung und versorgt meine Organe, die wiederum ganz ohne mein Zutun arbeiten, atmen, leben. Mein Körper ist ein Gefäß.

Durch meine Gefühle lebe ich in der Welt, ich erlebe mich als Individuum. Ich kann Freude und Trauer, Liebe und Angst fühlen. Meine Gefühle drücken die Regungen meiner Seele aus, meine Bedürfnisse entstehen aus meinen Gefühlen. Ohne Gefühle wäre ich kein Mensch. Hätte ich keinen Ausdruck. Wäre ich arm.

Mein Verstand ist ein wichtiger Helfer im Alltag. Er hilft mir Entscheidungen zu treffen, Dinge nacheinander zu tun, zu koordinieren, Informationen zu verarbeiten und zu kommunizieren. Gedanken, Erinnerungen, Planungen, all dies ist erst durch meinen Verstand möglich.

Wenn ich diese drei Dimensionen erspüre, sage ich: Ich bin nicht mein Körper / meine Gefühle / mein Verstand, aber ich habe einen Körper / Gefühle / einen Verstand. Und: Ich bin mehr als mein Körper / meine Gefühle / mein Verstand. Denn ich bin eine reine Quelle des Bewusstseins. Diese reine Quelle ist unser Selbst, die Instanz, die wie eine Konstante von Kindheit bis ins Alter in uns bleibt. Das Selbst ist das was übrig bleibt, wenn wir uns disidentifizieren von dem Körper, den Gefühlen, dem Verstand.

Ich sehe das Bild eines Felsen in der Brandung. Die Brandung sind all unsere Schwankungen, all das was sich bewegt und verändert, der Fels ist das was bleibt.

Den Fels in der Brandung zu spüren habe ich als einen wichtigen Shift für mich erlebt, das Bild stärkt mich ungemein. Zu wissen, dass eine starke Verankerung da ist und in mir etwas Großes da ist, das unzerstörbar ist, hat mir viel Kraft gegeben.

Wie ist es für euch? Was macht es mit euch?

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